Fachnews 13.02.2023

Die Versorgungsgemeinschaft (Wahlverwandtschaft) – ein Plädoyer gegen die Ehe?

Die Versorgungsgemeinschaft (Wahlverwandtschaft) – ein Plädoyer gegen die Ehe?

Die FDP hat diesen - liberalen - Gedanken schon 2020 in den Bundestag eingebracht. SPD, FDP und Grüne haben ihn in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: „Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen.“

Die Union sieht dabei schon „das besonders geschützte Institut der Ehe“ in Gefahr. Justizminister Buschmann (FDP, verheiratet) entgegnete hierzu kurz und bündig, die Zukunftsfähigkeit der Ehe stehe nicht in Zweifel. Sie passe aber nicht in jeden Lebensentwurf.

Die Presse hat die Diskussion erstaunlich sachlich aufgegriffen: So fragt der Tagesspiegel nur ein wenig verschmitzt: „Wird damit ein rechtlicher Rahmen für polyamouröse Beziehungen, also Partnerschaften (Liebesbeziehungen) zwischen mehr als zwei Menschen, geschaffen?“ „Das wird nicht der Hauptanwendungsfall sein, aber selbst wenn, halte ich dies nicht für einen Skandal“, zitiert er sogleich die trockene Antwort der Bundestagsabgeordneten Ria Schröder (FDP).

 

Wer soll profitieren?

Tatsächlich soll die „Versorgungsgemeinschaft“ geänderten Lebensrealitäten Rechnung tragen. Nicht nur, wer schon in seiner Jugend in Wohngemeinschaften gelebt hat bzw. es gerade erlebt, kommt auch im Alter insbesondere nach dem Tod des Partners dazu, diese Wohnform  (wieder) für sich zu entdecken und eben auch Verantwortung für die Mitbewohner zu übernehmen. In einer Gesellschaft, die mehr und mehr aus Singles besteht und die immer mehr vereinsamt, ist dies für viele Menschen eine attraktive Alternative. Henning Scherf, der ehemalige Bremer Bürgermeister, ist der wohl bekannteste Protagonist dieser Lebensform.

Aber auch Alleinerziehende, die von engen Freunden und Geschwistern unterstützt werden oder sich gegenseitig unterstützen, könnten so eine offizielle Gemeinschaft eingehen. Und natürlich wäre Sie prädestiniert für all diejenigen Paare, die nicht heiraten wollen, warum auch immer.

 

Wie entsteht eine solche Gemeinschaft, welche Rechte haben ihre Mitglieder?

Die Versorgungsgemeinschaft soll von zwei oder auch mehr Erwachsenen unbürokratisch vor dem Standesamt geschlossen und auch wieder aufgelöst werden können. Voraussetzung soll ein persönliches Näheverhältnis zwischen den Personen sein. In Frankreich besteht bereits ein ähnliches Rechtsinstitut („PACS“ – pacte civile et solidarité).

Das diskutierte Rechtsinstitut soll Menschen, die in solchen Gemeinschaften leben, Rechte gewähren, z.B. für den Fall, dass ein Mitbewohner ins Krankenhaus muss. Die Rechte und Pflichten sollen stufenweise geregelt werden. Themen sind z.B. das Mietrecht oder das Auskunftsrecht beim Arzt, Vertretungsrechte etwa bei Elternabenden, aber auch Pflege- und Unterhaltsleistungen.

Wünschenswert wären natürlich auch steuerliche Regelungen, z.B. die Abzugsfähigkeit von Unterhaltszahlungen als außerordentliche Belastung oder auch ein spezieller Freibetrag bei der Schenkung- und Erbschaftsteuer. Von der FDP ist dies ausdrücklich gewollt.

Ein spannendes Modell, das allerdings den Dringlichkeiten dieser Tage Tribut zahlen musste. Es soll frühestens Ende 2023 im Rahmen einer umfassenden Familienrechtsreform Realität werden. Das Justizministerium scheint wild entschlossen, der Vielfalt der Gesellschaft Rechnung zu tragen.